Das
sollte nicht vergessen werden...
-
Nachkriegsgeschichten -
Noch
ein aussagekräftiges Dokument neben dem Foto von den ersten
polnischen Siedlern in Wilxen nach dem Zweiten Weltkrieg (im Blog bei
Kronika Wilkszyna cz. 3) ist
die Siedlerliste von 1947 (im Blog: Wytyczne do projektu
osiedleńczego
gromady Wilczyn 1947). Es ist
eine Erfassung der neuen
Bewohner von Wilxen / Wilkszyn nach der Vertreibung der letzten
ehemaligen deutschen Einwohner, die mit ihrem
Pfarrer Hugo Scholz im Herbst
1947 in Hannover ankamen.
Diese
neuen Siedler waren überwiegend auch Vertriebene aus Ostpolen, die
hier nun ihre neue Heimat finden sollten. Und
nach 70 Jahren zeigt sich, dass viele Familien in Wilkszyn sesshaft
geworden sind. Schaut man sich die Eintragungen an, dann findet man
viele Familiennamen, die heute noch in Wilkszyn anzutreffen sind.
Aber
auch drei deutsche Familien sind in der Siedlerliste von 1947
verzeichnet. Sie wurden polonisiert und lebten noch bis 1957 dort.
Später, als die politische Situation es erlaubte, siedelten sie nach
Westdeutschland um. Aber 10-12 Jahre Zusammenleben, auch mit
Menschen anderer Nationalität, verbindet. Es kam zu Freundschaften,
ja sogar zu Heirat.
Da
war z.B. die Familie unseres
ehemaligen Schuhmachers Berthold
Opitz,
in
der Liste
die
Nr.
20 mit 3 Personen – Eltern und Sohn Alois, der 1947 17 Jahre alt
war. Als 6jähriger Junge ist er auf dem Schulbild in der Chronik
(Kronika Wilkszyna) auf Seite 135 zu sehen. 1957 siedelte Berthold
um, 1958 Alois mit Familie. Inzwischen war Alois mit einer Polin
verheiratet. Die Familie hatte 6 Kinder und wohnte nun in
Westdeutschland am Rhein.
Szczepanska
Antonina,
in der Liste als Nr. 67 mit 2 Personen verzeichnet, war Mutter von 6
Kindern. Einige
ihrer Kinder waren 1947 nicht mehr in Wilxen / Wilkszyn.
Ihr
Sohn Alfons,
damals 23 Jahre alt, war zu dieser Zeit in russischer
Kriegsgefangenschaft.
Als Mutter Antonia erfuhr, dass ihr Sohn in einem Kohlebergwerk in
Beuthen
/ Bytom
arbeitete,
ist
die kleine energische Frau aufgebrochen und hat ihren Sohn gesucht.
Sie ging nicht eher wieder heim, bis man ihr den Sohn überlassen
hatte; allerdings
unter der Bedingung, dass sie zur Arbeit für den Wiederaufbau in
Wilkszyn
bleiben.
Alfons
lernte dann in Wilkszyn die 18jährige Lisa
aus Schreibersdorf / Pisarzowice
kennen. Lisa
blieb bei Alfons, als ihre Familie Schreibersdorf verlassen musste.
Sie arbeitete zunächst in Trautensee / Miłoszyn.
Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Noch heute
wirken sie – nach 68 Jahren Ehe – glücklich miteinander. 1948
haben sie geheiratet (Massentrauung
in der Kirche in Herrnprotsch / Pracze Odrzańskie).
Das
war nötig, damit sie auch an ihrem neuen Arbeitsplatz miteinander
leben und arbeiten konnten. Lisa ging nämlich mit Alfons auf ein
Oderschiff – ein Baggerschiff. Lisa als Matrose und Alfons als
Maschinist. So haben die beiden fast 10 Jahre lang die Oder zwischen
Oppeln
/ Opole
und Maltsch / Malczyce
ausgebaggert.
Gemälde vom Soldaten Alfons, 19 Jahre
Alfons, 49 Jahre, mit Mutter Antonia
Nach
getaner Arbeit spielte Alfons auf seiner
Ziehharmonika,
das hob die Stimmung. Und er spielte auch in Wilkszyn im Saal des
ehemaligen Gasthauses Bleisch zum Tanz. Eine
gute Ziehharmonika
hatte ihm Bruno (Bronisław
Grzesiak, in der Siedlerliste Nr. 14) besorgt. Bruno und Alfons waren
Freunde geworden.
Lisa
und Alfons bekamen dann 1957 die Genehmigung zur Ausreise nach
Westdeutschland im Zuge der Familienzusammenführung. Die
politische Situation machte das damals 1957/58 möglich. Im
Durchgangslager Friedland wurden sie von ihren Familienangehörigen
erwartet. Die Freundschaft zu Bruno blieb – und auch die
Ziehharmonika musste in Wilkszyn zurückbleiben.
In
der ul. Polna in Wilkszyn erinnern sich heute noch Einwohner an
Alfons. Im Sommer 2012 wurde dort noch nach Alfons Szepanski gefragt.
Alfons, 91 Jahre, spielt noch immer
der junge Bruno
Bronisław
Grzesiak gehörte zu den ersten Polen, die 1945 nach Wilxen kamen. Er
kam von
Deutschland (Thüringen) aus
nach Wilxen,
war von den russischen Besatzern zurück nach Polen geschickt
worden. Viele
Jahre hatte
er in
Deutschland gearbeitet und sprach gut Deutsch.
Er teilte das Schicksal vieler Polen, die lange in Deutschland gelebt
hatten und jetzt von dort ausgewiesen wurden. Einige hatten Familien
gegründet. So gab es in Schlesien dann nach dem Krieg viele junge
Polen mit deutschem Geburtsort und deutscher Sprachbildung.
Bronisław
war für uns Bruno, der im Haus Nr. 4 bei Gimmler wohnte (bis zu
seinem Tod). Bruno lebte schon mit der deutschen Bevölkerung
zusammen, bis diese vertrieben wurde. Er kannte uns noch alle. Für
die späteren "Heimwehtouristen" wurde er zum Vermittler. So erlebten
auch wir ihn 1992, 46 Jahre nach unserem Weggang (zu sehen in
der Chronik, auf dem Foto Seite 140 oben).
Bruno
kannte das alte Dorf Wilxen noch, hatte die Veränderungen erlebt und
konnte uns nun Auskunft geben. Und er wusste von den Grausamkeiten
der russischen Besatzer an den deutschen jungen Frauen und Mädchen
aus der Nachbarschaft zu berichten, die er bis zur letzten
Vertreibung im Mai 1947 noch miterlebte.
Bruno
hatte einige Hobbys. Neben der Taubenzucht reparierte er gern alte
Armbanduhren. Und so freute er sich, wenn man ihm solche mitbrachte.
Auch einen Satz Feinmechaniker-Werkzeug konnte er gut gebrauchen. Die
Busreisegesellschaft von 1999 hat ihn noch erlebt und sich über
seine Hilfsbereitschaft zur Vermittlung gefreut.
Sicher
ist, dass auch die Familie Gimmler, die in Pattensen ihre neue Heimat
fand, lange guten Kontakt zu ihm hatte. Leider habe ich darüber
keine genauen Kenntnisse, denn Überlebende der Familie Gimmler
konnte ich nicht mehr erreichen, als ich mit meinen Recherchen
begann.
Ein
älterer Bruder von Alfons, Alfred
Szepanski, und seine Frau Berta, geb. Schubert hielten
freundschaftliche Kontakte zu polnischen Einwohnern in Wilkszyn und
waren regelmäßig zu Besuchen dort, bis das durch Altersschwäche
und Krankheiten
nicht mehr möglich gemacht werden konnte. Sie haben mir gerne davon
erzählt.
Einzelne
gute Kontakte und freundschaftliche Beziehungen zwischen deutschen
Ehemaligen und polnischen Neusiedlern haben sich nach Kriegsende
entwickelt und blieben wohl auch erhalten bis zum Tode der
Ehemaligen. Von einigen wurde mir berichtet. Es wurde aber öffentlich
nicht darüber gesprochen. Das ist – zurückblickend – sehr
bedauerlich und dient nicht der Völkerverständigung.
Menschen,
ganz gleich welcher Nationalität, brauchen die persönliche Nähe
und das Gespräch miteinander. Wenn Mauern zwischen den Völkern
erbaut werden, entsteht Fremdheit und Furcht vor dem Anderen.
Ich
persönlich gehöre zu den jüngsten der ehemaligen deutschen
Einwohner von Wilxen / Wilkszyn, habe erst sehr spät den Weg zurück
gehen können und bin sehr froh darüber, dass es zu einem so guten
Dialog und zu Freundschaften gekommen ist. Und ich würde mir
wünschen, dass auch für viele unserer Nachkommen eine versöhnliche
Gesinnung erhalten bleibt!
Ein
Ausspruch von Marion Gräfin Dönhoff zu ihrer Heimat Ostpreußen
sollte vielen Menschen zum Leitgedanken werden: „Ich kann mir auch
nicht vorstellen, dass der höchste Grad der Liebe zur Heimat dadurch
dokumentiert wird, dass man sich in Hass verrennt gegen diejenigen,
die sie in Besitz genommen haben; und dass man jene verleumdet, die
einer Versöhnung zustimmen. Wenn
ich an die Wälder und Seen Ostpreußens denke, an die weiten Wiesen
und alten Alleen, dann bin ich sicher, dass sie genauso
unvergleichlich schön sind wie damals, als sie mir Heimat waren.
Vielleicht ist dies der höchste Grad der Liebe: Zu lieben ohne zu
besitzen.“
Marianne
Thiemann, im Juli 2016
Brak komentarzy:
Prześlij komentarz